Die Sprache der Geräusche und der Stille
In Innsbruck ists heut so stille, wie kaum jemals. Man erfährt nichts Neues. (Tagebuch Dipauli, 6. Mai 1809, p. 37v)
Andreas von Dipauli bezog sich mit diesem Eintrag nicht nur auf die fehlenden ausgesprochenen Informationen, sondern er deutete auch die Stille der Stadt. Die Zeit des Aufstandes lässt sich als eine zunehmende und abebbende Geräuschkulisse lesen, in der es lebensnotwendig für die Hörenden war, die Signale richtig zu interpretieren. Die Bedeutung dieser Art von Kommunikation tritt am deutlichsten in Dipaulis Tagebuch, das er sehr zeitnah geführt hat, zutage.
Zum einen waren da die Glocken, die nicht nur zu Gottesdiensten riefen. Sie kündigten auch die Sammlung des Sturmaufgebots an. Wer dies hörte, wusste, es war Gefahr im Verzug und es galt zu handeln. Um 4 Uhr morgens ertönte wieder die Sturmglocke. Der Feind komme von Scharnitz her, hieß es. Der ganze Sturm, und auch das öst. Militär zog dahin. – Es war wieder blinder Lärm, notierte Dipauli für den 15. April 1809 (p. 18r). Glocken konnten aber auch Sieg und Freude verkünden. Nach dem ungewissen Warten, ob die Österreicher nach dem Beginn des Aufstandes kommen würden oder nicht, ritt am 14. April 1809 nach neun Uhr ein einzelner österreichischer Cuirassier unter großem Jubel des Volkes ein. Um 12 Uhr kam ein kleines Kavalleriedetachement mit einem Offizier. Alle Glocken wurden geläutet. Des Jauchzens und Jubelns und Schießens war kein Ende. (Tagebuch Dipauli, p. 17v) Die genauen Unterschiede mussten schnell gelernt werden.
Leichter zu interpretieren war der Zusammenhang zwischen hörbaren Gewehrschüssen und der Gefahr, wenn das Schießen nicht mit einem freudigen Anlass in Verbindung gebracht werden konnte. Je näher, desto gefährlicher. Genau galt es, auf das Herannahen und Lauterwerden oder das Entfernen und Abnehmen der Geräuschkulisse zu achten. Wir erfuhren bald, daß die Bauern von Axams her nach Mitternacht auf die Militärpiket beym Pulverthurm u. auch anderswo, geschossen haben, und es dauerte nicht lang, daß wir ein heftiges Kanonen- u. Musketenfeuer, und eine Menge Stutzenschüsse hörten, schrieb Dipauli für den 11. April 1809 in sein Tagebuch. (p. 1r-1v) Und weiter: Nachdem das wechselseitige Feuern den ganzen Tag angehalten hatte, hörte es endlich abends ziemlich spät auf. (p. 2r) Wie in jedem Krieg zerrte das Gewehrfeuer, das jederzeit Gefahr bedeuten konnte, an den Nerven – bevor eine Gewöhnung eintrat.
Die Hoffnung, diese Nacht ruhig zu schlafen, denn gegen den Abend ward in der Stadt alles still u. ruhig, wurde häufig zunichte gemacht: Um ½ 3 Uhr weckt uns die Trommel, und das Geschrey: auf! auf! Lichter an die Fenster! – Man wußte lange nicht, was es bedeute, u. glaubte, man habe nur den Zweck, die einquartirten Kompagnieen zum Marsch aufzufordern. Nach 3 Uhr fängt es auch an, Sturm zu schlagen. Einige sagen, die Baiern seyen nach Schwaz vorgerückt; andere, die Bauern hätten angegriffen. Man ist nicht klar, was eigentlich sey. (Tagebuch Dipauli, 15. Mai 1809, p. 49v)
Ein- und abmarschierende Truppen kündigten sich mit Generalmarsch mit Trommeln, klingendem Spiel und türkischer Musik an. (Tagebuch Dipauli, 11. Mai 1809, 42v f.) So zog beispielsweise am 2. Mai 1809 von Matrei, Steinach und Navis eine Schützenkompanie, 150 Mann stark, mit fliegenden Fahnen u. mit abwechselndem Spiel von Trompeten u. von Trommeln u. Pfeifen in Innsbruck ein. (Tagebuch Dipauli, p. 34r)
Überall wo Menschenansammlungen zusammen kamen, erhob sich Lärm, der auf sich aufmerksam machte. Neue Nachrichten wurden mit Trommelwirbel angekündigt. Die Bevölkerung tat gut daran, sich vor Ort zu informieren, unabhängig davon, ob es sich wie am 12. Mai um die Versteigerung von Hornvieh oder am 14. Mai um die Neuigkeiten von den Kämpfen gegen die Franzosen und deren Rückzugs- bzw. Marschrichtung handelte.
Außerordentliche Stille war hingegen gleichbedeutend mit dem Mangel an Nachrichten und wurde daher als bedrohlich wahrgenommen. Die eingangs erwähnte, am 6. Mai 1809 bemerkte Stille veranlasste Dipauli zur vorweggenommenen Befürchtung: Wie bald kann auf die Stille des heutigen Tages ein fürchterlicher Sturm folgen! (Tagebuch Dipauli, p. 31v, 38r)
Ellinor Forster
Quellen und Literatur
– Alain Corbin, Die Sprache der Glocken. Ländliche Gefühlskultur und symbolische Ordnung im Frankreich des 19. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 1995.
– Wolfgang Meighörner, Das Tagebuch des Appellationsrates Andreas Alois Baron di Pauli von Treuheim, in: ders. (Hg.), Wissenschaftliches Jahrbuch der Tiroler Landesmuseen 2008, Innsbruck 2008, 204-329.