17. bis 23. Aug.

… durch Bluet und Tod und Not und Teufl

Die Ereignisse der Erhebung von 1809 waren Vorlage für mehre Theaterstücke. Allein der 1867 in Axams geborene Karl Schönherr, einer der populärsten Dramatiker im deutschsprachigen Raum um die Jahrhundertwende, verarbeitet das Thema „anno neun“ dreimal.

Sandwirt nimmt die Adlerfahne, die an der Wand lehnt, und spricht gegen die Wiege hin, an der die Hiesin dumpf brütend kauert: Du jungs Adlerbüebl, da han i dir enkern Fahn zruckbracht. I tue dir ihn derweil da eine, wo er früher gwesen ist! Birgt die Fahne in der tiefen Höhlung des mächtigen Nußbaumstammes. Gegen die Wiege hin: Und wenn wieder einer aufsteht, der uns Land und Heimat nehmen will, nacher nimmst den Fahn und tragst ihn wie deine Vatersleut, durch Bluet und Tod und Not und Teufl! Nimmt die brennende Laterne, die ihm die Kellnerin gebracht hat, geht durch das Hoftor und verschwindet, einen weithin sichtbaren steilen Weg aufwärts steigend,  mit der Laterne im Abenddunkel.

Kellnerin und Hiesin sind in das offene Hoftor getreten und sehen ihm nach, bis der Lichtschein der Laterne verschwindet.“ (Schönherr, Volk in Not, in: Chiavacci (Hg.), Bühnenwerke, 327)

Mit dieser Szene, zeitlich anzusetzen rund eine Woche nach den Kämpfen am Bergisel vom 13. August, endet Karl Schönherrs Drama „Volk in Not“. Die Handlung des Stückes ist schnell erzählt. Der erste von drei Akten spielt im Hof des Rotadlwirtshauses. Andreas Hofer stößt zu den dort versammelten Personen, um diese davon zu überzeugen, mit ihm in den Kampf gegen die Franzosen und Bayern zu ziehen. Während die Männer schnell überredet sind, weist vor allem Hiesin, die schwangere Schwiegertochter des Rotadlwirts auf den zwischen Österreich und Frankreich geschlossenen Frieden hin, womit sie vermutlich den Znaimer Waffenstillstand vom 12. Juli 1809 meint.

Der zweite Akt schildert die Kämpfe um den Bergisel am 13. August. Die aus dem ersten Akt bekannten Männer der Rotadlwirtsfamilie liegen verschanzt in den Wäldern um Innsbruck und wehren die Sturmangriffe der Bayern und Franzosen ab. Einer nach dem anderem wird dabei getötet, die Rotadlwirtin verliert so ihren Mann und ihre drei Söhne, darunter auch ihren jüngsten, Rotadlwirtsseppele, der noch ein Kind war. Als Seppeles Vater seinen Sohn, völlig entsetzt über dessen Anwesenheit noch nach Hause schicken will, schreitet Andreas Hofer ein: „Sandwirt wild erregt wieder in den Schützenketten auftauchend, zornig: Wer redt da von Heimgehn? Wir brauchn an‘ jeden, groß oder kloan!“ (Ebd., S. 308)

Im dritten und letzten Akt kehrt Hofer zum Rotadlwirtshaus zurück. Dort berichtete er der Hiesin, die inzwischen einen Sohn zur Welt gebracht hat und deren Schwiegermutter, der Rotadlwirtin, dass alle ihre Männer gefallen sind. Aber obwohl die beiden Frauen nun vor den Trümmern ihrer Existenz stehen, hegen sie keinen Groll gegen Hofer, welcher die Männer immerhin zum Kampf überredet hatte. Vielmehr wird Hofer als die Figur im Stück stilisiert, an die sämtliche Hoffnungen geknüpft sind, bildlich im eingangs geschilderten Schluss-Tableau verdeutlicht. Die Frauen bleiben im Dunkeln zurück während Hofer, nur noch als Licht erkennbar, gegen den Himmel wandert.

Karl Schönherr schrieb „Volk in Not“ zwei Jahre nach Ausbruch des ersten Weltkrieges, die Funktion des Stückes ist klar. Entgegen einer heute wahrscheinlichen Lesart des Stückes als „Anti-Kriegs-Drama“, welche die am Schluss stattfindende Apotheose Hofers als nachgerade absurd empfinden würde, sollte „Volk in Not“ im Jahr 1916 den Schmerz der Hinterbliebenen lindern und erklären, warum Väter, Ehemänner und Söhne sterben mussten. Und so schrieb ein Kritiker nach der Premiere: Was gestern noch Legende war, ist heute wiederum Wirklichkeit. Nur berührt es nicht die Tiroler allein. Ganze Völker spüren gleiche Not“. (Ebd., S. 30.)

Peter Andorfer

Quellen und Literatur

– Vinzenz K. Chiavacci (Hg.), Karl Schönherr. Gesamtausgabe, Bühnenwerke. Wien 1967, darin „Volk in Not“ S. 283-328.