13. bis 19. April

Mit welchem Recht …

 können wir die Tyroler aufmuntern zur Empörung, zur Untreu gegen ihren rechtmäßigen Gebieter? denn dies ist der König von Bayern. So schrieb niemand geringerer als die Kaiserin Maria Ludovica an ihren Schwager Erzherzog Johann am 16. April 1809. Also nicht einmal eine Woche nachdem die Bayern aus Tirol vertrieben worden, drei Tage nachdem die Soldaten des österreichischen Kaisers in Innsbruck einmarschiert waren.

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Mit diesem Brief bezog Ludovica klar Opposition zur Politik ihre Familie, federführend vertreten von ihrem eigenen Schwager Erzherzog Johann. Denn er war es, der die Erhebung – oder wie Ludovica schreibt, die „Empörung“ durch die Unterschrift unter seinen „Aufruf an die Tyroler“ wenigstens aus österreichischer Sicht legitimierte. In diesem Hochgefühle rufe Ich – in dieses alte, Uns geraubte Eigenthum Habsburgs wiederkehrend – wie vor 393 jener Herzog Friedrich, die Wiedergeburt der, mit Recht Allen so theuren Verfassung, die Wiederherstellung der vier Stände hiemit feyerlich aus, rufe Adel und Prälaten, Bürger und Bauern wieder zu den Füßen jenes Throns, welcher für sie allzeit ein Ort des Trostes und der Hülfe gewesen ist.

Doch mit welchem Recht? War Tirol doch von Habsburgern mit der Unterzeichnung des Pressburger Friedens am 26. Dezember 1805 an das neu geschaffene bayerische Königreich abgetreten worden. Und zwar: auf die gleiche Weise, mit den gleichen Titeln, Rechten und Prärogativen …, wie sie vorhin Se. Maj. dem Kaiser von Deutschland und Oesterreich, oder die Prinzen seines Hauses besessen haben, und nicht anders, wie es in Artikel VIII des Vertrages steht.

Aus Sicht der Befürworter des Aufstandes dessen Legitimität gerade in der Formel „und nicht anders“, bzw. „non autrement“ wie es im Original des Vertrages heißt, begründet. Denn, so deren Argumentation, spätestens mit der Proklamation der bayerischen Verfassung am 1. Mai 1808 wäre der Pressburger Frieden gebrochen worden, ersetzte diese doch die bisherige in Tirol herrschende Rechtsordnung. Eine Interpretation des Artikel VIII, die auch in dem Schreiben Kaiser Franz I. vom 18. April 1809 aus dem oberösterreichischen Schärding durchscheint. Durch den Drang der Umstände zu der Trennung bemüssiget, war ich noch in dem letzten Augenblicke bedacht, Euch einen Beweis Meiner Zuneigung und Fürsorge dadurch zu geben, dass Ich die Aufrechterhaltung Eurer Verfassung [Eine Verfassung im heutigen Sinn, nämlich die in einem Dokument verschriftlichte Sammlung sämtlicher Grundgesetze eine Landes gab es für Tirol erstmals mit der von Kaiser Franz I. erlassenen Verfassung von 1816. Siehe dazu Schlachta, Die „Verfassung“ des Landes.] zu einer wesentlichen Bedingniß der Abtrettung  machte, und es verursachte Mir ein schmerzliches Gefühl, Euch durch offenbare Verletzungen dieser feyerlich zugesicherten Bedingniß auch noch der Vortheile, die Ich euch dadurch zuwenden wollte, beraubt zu sehen.

Wenn die Tiroler also die Waffen gegen die Soldaten ihres damaligen König, nämlich Maximilian I. gerichtet haben, so war dies, glaubt man den Argumenten Erzherzog Johanns und Kaiser Franz I. keine Revolution, keine Empörung, keine Erhebung und kein Aufstand – sondern eine legitimer Freiheitskampf um hier jenen Begriff aufzugreifen, unter dem die Ereignisse des Jahres 1809 zum Teil bis heute noch zusammengefasst werden, wie verschiedene Titel historiographischer Arbeiten jüngeren Datums belegen (Vgl. etwa „Anno Neun. Der Freiheitskampf von 1809 unter Andreas Hofer“ von Michael Forcher, erschienen 2009). Dabei gilt die Frage, ob Anno Neun nun ein Aufstand oder tatsächlich ein Freiheitskampf war, spätestens seit Anfang des vergangenen Jahrhunderts als beantwortet. Legte Hans von Voltelini in seinem Aufsatz „Die Klausel ‚Non autrement‘ des Pressburger Friedens“ umfassend dar, dass die Proklamation der bayerischen Verfassung vom 1. Mai 1808 nach damaliger Rechtsauffassung und –Praxis, in keiner Weise die Bestimmungen des Pressburger Friedens verletzte. Auch wenn seine Kollegen und Vorgänger aus der Historikerzunft diese Meinung nicht mit der Deutlichkeit Voltelinis formuliert haben, so lässt doch das Fehlen der Bezeichnung „Freiheitskampf“, wenigstens an so prominenter Stelle wie im Titel der einzelnen Arbeiten zum Jahr 1809 eine gewisse kritische Distanz zur Argumentationslinie des Kaisers und seines Bruders vermuten. Überschrieb etwa Josef Hirn seine 1909 erschienen und bis heute als Standardwerk zu Tirol 1809 anerkannte Arbeit auch nicht mit Tirols Freiheitskampf Tirols im Jahre 1809 sondern mit Tirols Erhebung im Jahre 1809.

Wenn in diesem Jahr, 100 Jahre nach den Arbeiten Hirn und vor allem Voltelinis ein Buch mit dem Titel „Abschied vom Freiheitskampf“ auf den Markt kommt, so rückt dieses wieder eine Frage in den Mittelpunkt, die bis in das erste Drittel des 20. Jahrhunderts weitgehend unbestritten und zu Gunsten Maria Ludovicas beantwortet worden war – ehe die Meinung ihres Ehegatten und ihres Schwagers die Buchtitel der Arbeiten zu 1809 zu prägen begannen und aus der Erhebung von 1809 einen Freiheitskampf machten.

Peter Andorfer

Quellen und Literatur

– Brief Maria Ludovicas an Erzherzog Johann vom 16. April 1809, zitiert nach Zwiedineck-Südenhorst, Hans von, Erzherzog Johann von Österreich im Feldzug von 1809. mit Benützung der von ihm hinterlassenen Acte, O.o. 1892, S. 15f.
– Aufruf Erzherzog Johanns „An die Tyroler!“ zitiert nach: Wolfgang Pfaundler, Werner Köfler, Der Tiroler Freiheitskampf 1809 unter Andreas Hofer, München/Innsbruck 1984, S. 40-42.
– Schreiben Franz I. aus Schärding vom 18. April 1809, zitiert nach: Wolfgang Pfaundler, Werner Köfler, Der Tiroler Freiheitskampf 1809 unter Andreas Hofer, München/Innsbruck 1984, S. 73.
– Forcher, Michael, Anno Neun. Der Tiroler Freiheitskampf von 1809 unter Andreas Hofer. Ereignisse, Hintergründe, Nachwirkungen, Innsbruck 2008.
– Hirn, Josef, Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909.
– Köfler, Werner, Pfaundler, Wolfgang, Der Tiroler Freiheitskampf 1809 unter Andreas Hofer, München/Innsbruck 1984.
– Schlachta, Astrid von, Die „Verfassung“ des Landes – ein Erinnerungsort in der politischen Kommunikation in Tirol.
– Voltelini, Hans von, Die Klausel „Non autrement“ des Pressburger Friedens, Sonderabdruck aus den „Mitteilungen des Instituts f. österr. Geschichtsforschung, XXXII. Band, 1. Heft, 1911.
– Zwiedineck-Südenhorst, Hans von, Erzherzog Johann von Österreich im Feldzug von 1809 mit Benützung der von ihm hinterlassenen Acte, O.o. 1892.